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Die Vereinigte Kasino- und Musikgesellschaft
von 1783 bis zur Gegenwart

1783 erschien Friedrich Schillers Drama „Die Verschwörung des Fiesco zu Genua“, das er selbst im Untertitel „ein republikanisches Trauerspiel“ nennt. 1781 waren die Räuber erschienen, 1784 folgt mit „Kabale und Liebe“ ein bürgerliches Trauerspiel, das leidenschaftliche Kritik am Despotismus absoluter Herrscher übt, man denke nur an die Diskussion um  den Verkauf von Landeskindern als Soldaten nach Amerika. 1787 folgt schließlich Don Carlos, aus dem die Forderung nach Gedankenfreiheit zum geflügelten Wort geworden ist.

 

Die europäische Aufklärung, die Immanuel Kant 1784 in einem berühmten Aufsatz als den „Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“ bezeichnet, strebt ihrem Höhepunkt zu. „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ lautet nach Kant der Wahlspruch der Aufklärung. In das Jahr 1783, dem Erscheinungsjahr des „Fiesco“, fällt in Worms die Gründung einer „Lesegesellschaft“, aus der später die „Vereinigte Kasino- und Musikgesellschaft“ wurde, die somit auf eine außerordentlich ehrwürdige Tradition zurückblicken kann wie kaum ein anderer Verein in der Stadt. „Die Erweiterung des Lesepublikums führt seit 1750 zu einem immer schnelleren Ansteigen der Buch- und Zeitschriftenproduktion. Zugleich sind Bücher und Zeitschriften ziemlich teuer. Man hilft sich, indem man zunächst Gemeinschaftsabonnements bildet, aus denen sich ab 1750 Lesegesellschaften formieren.“[1]   

 

Man trifft sich in Lesezirkeln, reicht unter Mitgliedern  Zeitschriften und Bücher herum, schafft eine eigene Leihbibliothek, verfügt dann auch über eigene Räume. Ein Verstand, dessen man sich selbständig bedienen will, muss gefüttert werden: „Die Zeitschriften und Zeitungen sind die Blätter am wachsenden Baum der Erkenntniß“, lautet ein Zitat aus dem 1842 erschienenen „Conversations – Lexikon der Gegenwart“[2]. 48 Mitglieder hatte die 1783 in Worms gegründete Lesegesellschaft, die sich in dem Freiherrlichen von Prittwitzschen Haus trafen. Nicht zuletzt ein vorübergehender Mitgliederschwund führte zu dem Beschluss, dass „die Frauenzimmer eingeladen werden sollten, sich an gewißen von ihnen selbst zu wählenden Tagen ebenmäßig in einem besonderen Raum zum Spielen zu versammeln“[3], Maßnahmen, die als eine Art Neugründung empfunden wurden. Die Aktion war erfolgreich, bald unterzeichneten 50, dann 80 Personen. Man traf sich im Gasthaus zum „Wilden Mann“. Der Jahresbeitrag betrug sechs Gulden zuzüglich 12 Kreuzern für die „Livrai des Dieners.“ Der Vorrang, den damals das Lesen vor der Geselligkeit besaß, wird auch daran deutlich, dass zwar Erfrischungen gereicht werden konnten, jedoch weder Wein noch Likör, geraucht werden durfte nur in einem eigens dazu bestimmten Raum.

 

Die Mitgliederlisten zeigen nicht nur für Worms, dass die Träger der Lesegesellschaften aus den „gebildeten Ständen“ stammten. Einzelne Mitglieder waren zugleich Mitglieder der Freimaurerloge. Die Mitgliederzahl wuchs in den kommenden Jahren, im Gasthaus zum „Wilden Mann“ werden weitere Zimmer gemietet, um dem Lesezimmer mehr Ruhe zu verschaffen. 1789, im Jahr des Sturms auf die Bastille und Beginn der Französischen Revolution, hält man 18 Zeitungen und Zeitschriften, der Buchbestand wächst, die „Ökonomische Enzyklopädie oder allgemeines System der Staats-, Stadt-, Haus- und Landwirtschaft“ wird abonniert bis zum Abschluss des Werkes im Jahre 1848, 1791 wurde ein eigener Bibliothekar eingestellt. Auch die Geselligkeit wird gefördert, bereits 1788 wird ein Billard angeschafft. Auch damals gab es schon Mitglieder, die sich durch Rauchen belästigt fühlten, deshalb wurde 1791 ein weiterer Raum als Spielzimmer für Nichtraucher eingerichtet.

 

Auch sozial engagierte man sich und spendete für die lutherischen und katholischen, etwas weniger für die reformierten und jüdischen Armen. Heute fördert die Kasinogesellschaft junge Künstler, hat sich aber auch in der Gegenwart durch Spenden im wohltätigen Bereich engagiert. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts entdeckt die Lesegesellschaft ihr Herz für die Musik. Erste Konzertveranstaltungen werden organisiert. Mit dem Ende der Napoleonischen Zeit beginnt ein Neuaufbau. Seit 1816, dem Jahr, in dem Worms Teil des dem Großherzogtum Hessen zugeschlagenen Rheinhessen wird, werden vermehrt Offiziere Mitglieder der Gesellschaft. Die Gesellschaft gewinnt seit 1830  eine Menge neuer Mitglieder. Große Bedeutung bekommen jetzt die vier bis sechs Sommer- und Winter- „Kasinobälle“. Mit den Bällen kommt offenbar auch das Bedürfnis nach der Aufnahme jüngerer Mitglieder, eine Zielvorstellung, die uns bis in die Gegenwart begleitet. Die Bälle, die sich mit dem Namen Kasino verbanden und auch einfach so genannt wurden („Kasinos“), nahmen neben dem Lesen eine immer wichtigere Stellung ein, was letztlich zu einer Namensänderung führte. Aus der Lesegesellschaft wurde nach einem Beschluss vom 31.10.1836 die Kasinogesellschaft. Am 1. Januar 1837 bezog die Gesellschaft im Wambolderhof ein neues Quartier.

Im Jahre 1812 war der Gesellschaft durch die Gründung einer „Musikalischen Gesellschaft“ im gesellschaftlich – kulturellen Bereich Konkurrenz erwachsen. Es kommt zu zahlreichen Überschneidungen in der Mitgliedschaft, so dass es bald zu Vereinigungsplänen kam. 1847 wurde ein Vereinigungsvertrag unterzeichnet, 1851 wird die neue Satzung angenommen und gewählt, 1852 wird die Vereinigung zur „Kasino- und Musikgesellschaft“ mit einem Fest gefeiert. 1880 kam es wieder zur Trennung des Musikvereins von der Gesellschaft.. Den neuen Namen legte die Gesellschaft nicht ab, die Pflege der Musik durch die Veranstaltung von Kammerkonzerten für Mitglieder und dann auch für die interessierte Öffentlichkeit wurde zum Markenzeichen der Gesellschaft bis heute. Die Bücherei der Gesellschaft war inzwischen größer geworden, auch moderne Literatur fand bei den Anschaffungen Berücksichtigung, so etwa in den späteren Jahren des 19. Jahrhunderts Werke Georg Büchners. Deshalb tauchen ab 1844 Pläne auf, ein eigenes Domizil zu erwerben. Die Kasino- und die Musikgesellschaft (damals noch getrennt) erwerben ein Objekt an der Ecke Kämmererstraße – Hardtgasse und errichten einen neuen Saal, der 1849 eingeweiht wird. Um 1874 beschäftigen sich die Kasinoten bereits mit dem Umbau des Johanniterhofes, ein neuer Saal und eine Kegelbahn werden geplant, das alte Domizil wird 1876 verkauft. 1891 wird der neue Saal mit einem Ball eröffnet.

Bei aller Pflege der Geselligkeit ist der ursprüngliche Charakter der Lesegesellschaft zu dieser Zeit noch deutlich spürbar. „Zu der seit 1850 vorhandenen Bibliothek mit etwa 4000 Bänden – für die damalige Zeit eine stattliche Anzahl – erscheint Herbst 1871 ein Nachtragsverzeichnis mit weiteren 4000 Nummern...“[4] 1891 konnten 35 Zeitungen und Zeitschriften gelesen werden, 1893 und 94 wurde sogar der sozialdemokratische „Vorwärts“ gehalten. Das Engagement der Kasinogesellschaft für das kulturelle Leben der Stadt ist auch noch anderweitig wahrnehmbar. So vermutet Fritz Reuter, die Initialzündung für den Bau des Lutherdenkmals sei von der Kasinogesellschaft ausgegangen.[5] Die bewegte Geschichte des 20. Jahrhunderts hat ihre Auswirkungen auch auf das Leben in der Kasinogesellschaft. Zu Beginn des Jahrhunderts erwächst der Gesellschaft im Offizierskasino Konkurrenz, dennoch verzeichnet die Mitgliederliste von 1813 54 Offiziere des Infanterie-Regiments Prinz Carl Nr. 118 als Mitglieder.[6] Schon der erste Weltkrieg beeinträchtigte das Vereinsleben. Im Dritten Reich war die Gesellschaft aufgrund der Gleichschaltungsbemühungen nicht genehm. Sie konnte nur im Untergrund weiter existieren in der Hoffnung, dass einmal wieder bessere Zeiten kämen. Mit dem Zweiten Weltkrieg hörten die Aktivitäten ganz auf, die vorhandenen Räume wurden an den Reichsfiskus und an die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) als Kindergarten vermietet. Das Anwesen wurde durch Bombenangriffe schwer heimgesucht. Die geretteten Bände der großen Bibliothek wurden in die Stadtbibliothek überführt, sie sind dort heute noch einsehbar. Der Johanniterhof musste dann 1967 aufgrund anstehender hoher Sanierungskosten aufgegeben werden und wurde an die Firma Woolworth verkauft.[7] Die Gesellschaft hat sich in der folgenden Zeit ihrer Tradition gemäß mit der Pflege der Geselligkeit, der Musik und Literatur beschäftigt.

Zur Geschichte insgesamt: 1783-2008. Vereinigte Kasino- und Musikgesellschaft Worms. Festschrift zur 225-Jahrfeier, hg. von Ulrich Oelschläger und Gerold Bönnen (Wormsgau-Beiheft 40, Worms 2008)

 

[1] Reiner Wild, Stadtkultur, Bildungswesen und Aufklärungsgesellschaften, in: Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, hg. von Rolf Grimminger, Bd. 3/1: Deutsche Aufklärung bis zur Französischen Revolution, München 1980, S. 103-132, Zitat S. 122

[2] Ulrich Schmid, Buchmarkt und Literaturvermittlung, in: Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur, Bd. 5, hg. von Gert Sautermeister und Ulrich Schmid, München 1998, S. 60 – 93, Zitat S. 69

[3] Carl J.H. Villinger, 175 Jahre Vereinigte Kasino- und Musikgesellschaft e.V. Worms. Ein Beitrag zur Geschichte des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens im ausgehenden 18. Und im 19. Jahrhundert in Worms, Worms 1958, S. 11. Villingers Schrift ist auch im Folgenden wichtigste Quelle.

[4] Villinger, S. 35

[5] Fritz Reuter, Zwischen Reaktion und hessischer Städteordnung ( 1852 – 1874), in: Gerold Bönnen (Hg.), Geschichte der Stadt Worms, Stuttgart 2005, S. 441 – 478, hier S. 472

[6] ebenda, S. 38; vgl. auch Fritz Reuter, Warmaisa. 1000 Jahre Juden in Worms [Der Wormsgau, Beiheft 29], S. 171

[7] vgl. 200 Jahre Kasino- und Musikgesellschaft E.V.. Die Jahre zwischen 1959+1983 (Fs.), S.12ff

von Ulrich Oelschläger

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